BGH zur Erschöpfung vs. Neuherstellung bei Verschleißteilen

Interessantes Urteil bzgl. Teilen, in denen sich die technische Wirkung der Erfindung widerspiegelt –> regelmäßig als Neuherstellung einzustufen = kein bestimmungsgemäßer Gebrauch = keine Erschöpfung, denn die Herstellungsbefugnis wird nicht erschöpft. Anders hier, da die Wirkung der Teile (Verschleißbleche) allein darin besteht, zu verschleißen. Diese Wirkung reicht nicht aus, um eine Neuherstellung zu bejahen (Rn. 54)

BGH, Urteil vom 08.11.2022 – X ZR 10/20 (OLG DÜS)

PatG §10 (1), §9 Satz2 Nr. 1 – Scheibenbremse:

a) Damit sich die technischen Wirkungen einer Erfindung in bestimmten Teilen widerspiegeln (und deren Einbau zu einer die Erschöpfungswirkung verdrängenden Neuherstellung führt), müssen diese in besonderer, auf die Erfindung abgestimmter Weise ausgestaltet sein, um die ihnen zukommende Funktion erfüllen zu können, etwa durch eine besondere Formgebung […].

b) Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn die maßgebliche Wirkung der zu beurteilenden Teile allein darin besteht, dass sie verschleißen.

Interessantes zu Tatsachen und der Würdigung eines Sachverständigenvortrages

„Von einer erneuten mündlichen Anhörung des Sachverständigen kann nicht abgesehen werden, wenn das Berufungsgericht dessen Ausführungen abweichend von der Vorinstanz würdigen will […]. Das gilt grundsätzlich auch bei vom Tatrichter in Anspruch genommener eigener Sachkunde (Amtlicher Leitsatz)“. BGH, Urt. vom 19.10.2022 – XII ZR 97/21 – OLG Schleswig

Quelle: Mitteilungen der deutschen Patentanwältem 114. Jahrgang, Februar 2023, S. 99

Interessantes aus Aufsätzen und Rechtsprechung aus den „Mitteilungen der deutschen Patentanwälte“, 114. Jahrgang, Januar 2023

  • Eine Änderung der Patentansprüche vor dem EPA nach einem Prüfungsbescheid erfordert die Konvergenz oder bedarf der Zustimmung durch das EPA. Eine Neuausrichtung der EP-Anmeldung ist somit nur nach Erhalt des EESR möglich oder müsste über eine Teilanmeldung oder GebrM-Abzweigung realisiert werden
  • “Long-arm jurisdiction“ des UPC / “Extended jurisdiction” of the UPC (keine Trennung mehr von Verletzungs- und Bestandsverfahren): Es kann zum sogenannten „blocking effect“ kommen, wenn nämlich bei erklärtem Opt-Out vor Zurücknahme mittels Opt-In ein Verfahren vor einem nationalen Gericht initiiert wurde. Eine Rücknahme des Opt-Outs ist dann nicht mehr möglich. Dies bleibt auch so, wenn das nationale Verfahren bereits rechtskräftig abgeschlossen worden ist (betroffen sind allerdings nur Verfahren, die erst nach Inkrafttreten des UPCA begonnen wurden oder zu dieser Zeit zumindest noch anhängig sind).
  • ArbEG: Lizenzanalogie: Die Höhe eines Lizenzsatzes, auf den sich vernünftige Parteien geeinigt hätten, ist abhängig von der Stärke des Verbietungsrechts
  • EPA: Der Grundsatz der Merkmalsinterpretation in der breitesten, sinnhaften Art (breitestmöglicher Schutzbereich) erfordert gleichermaßen im Falle negativ formulierter Ausschluss-Merkmale eine Auslegung dieser so eng wie möglich.
  • Mittelbare Patentverletzung EPA: Die „Bestimmung zur patentverletzenden Verwendung“ ist nach dem subjektiven Anwenderwillen zu bestimmen (Angebotsempfänger, subjektives Tatbestandsmerkmal) und nicht nach objektiven Maßstäben. Zusätzlich muss der Dritte/Anbieter Kenntnis von diesem subjektiven Anwenderwillen haben (Vorsatz) oder die Verwendungsbestimmung muss nach den Umständen offensichtlich sein. Die Bestimmung zur Benutzung der Erfindung setzt daher einen entsprechenden Handlungswillen des Angebotsempfängers oder Belieferten (im Zeitpunkt der Vornahme einer mittelbaren Patentverletzung durch den Anbietenden oder Lieferanten) voraus. Der Tatbestand der mittelbaren PV enthält kein absolutes Verbot der Lieferung von Mitteln (die sich auf ein wesentliches Element der Erfindung beziehen), sondern greift nur dann ein, wenn die Mittel nicht nur …geeignet, sondern durch die Angebotsempfänger und/oder Abnehmer hierzu auch bestimmt sind. Dies ist für jedes einzelne Angebot und für jede einzelne Lieferung festzustellen. Aufgrund der schwierigen Darlegbarkeit des Willens des Angebotsempfängers genügt es, wenn das Bestimmtsein auf Grund der Umstände offensichtlich ist, so dass zur Feststellung der Tatbestandsmerkmale auf Erfahrungen des täglichen Lebens zurückgegriffen werden kann. Ob nun der Abnehmer ein privater Abnehmer oder ein gewerblicher Abnehmer ist, spielt bei der Frage der mittelbaren Patentverletzung durch einen Dritten (Anbieter) keine Rolle.

BGH zur Erschöpfung bei Nichtangriffsabreden / „covenant not to sue“

Der BGH urteilt in X ZR 123/20 „CQJ-Bericht“ dahingehend, dass „covenant not to sue“ nicht unmittelbar eine Erschöpfung nach sich ziehen muss.

Denn der Vertrag „kann im Einzelfall […] dahin auszulegen sein, dass der Patentinhaber seine Rechte [gegenüber Dritten] gerade nicht aufgeben will.“

„Lässt eine Vereinbarung aber hinreichend deutlich erkennen, dass der Patentinhaber sich verpflichtet, keine auf das Patent gestützten Einwände gegen das Inverkehrbringen von Erzeugnissen durch seinen Vertragspartner zu erheben, reicht dies in der Regel aus, um eine zur Erschöpfung führende Zustimmung [bzgl. des Inverkehrbringens] zu bejahen. Eine Erklärung dieses Inhalts ist nach dem Verständnis des Senats mit einem covenant not to sue typischerweise verbunden. Ein Vorbehalt von Rechten gegenüber Dritten stellt dann lediglich einen untauglichen Versuch dar, die Reichweite der Erschöpfung zu beschränken.“

Zum Vorteil des „beschränkten Doppelschutzes“ beim neuen Einheitspatentsystem

Einer der nennenswerten Vorteile des neuen Einheitspatentsystems für Europäische Patente ist die Möglichkeit, ein DE-Patent neben einem EP-Patent in gleichem Umfang bestehen zu haben – so hat es Deutschland nun vorgesehen. Denn das war bei bisherigen Europäischen Patenten (vor dem neuen Einheitspatentsystem) nicht möglich. Mit einem Start des Einheitspatentsystems ist zum 1. Juni 2023 zu rechnen.

Das EP-Patent darf dafür nicht (per Ausnahmeregelung des Art. 83(3) EPGÜ = Opt-Out bei der Kanzlei) der Gerichtsbarkeit des Einheitspatentgerichts (EPG) entzogen sein. Alternativ handelt es sich um ein Europäisches Patent mit einheitlicher Wirkung (EPeW).

Denn der bisherige Wirkungsverlust würde erst mit wirksamer Inanspruchnahme der Ausnahmeregelung (Opt-Out) eintreten und kann nicht mittels Opt-In rückgängig gemacht werden. Denn der bisherige Wirkungsverlust bei einem Doppelschutzverbot ist endgültig.

Jedenfalls können Patentinhaber während der mindestens 7-jährigen Übergangsphase das neue europäische System (EP ohne Opt-Out oder EPeW) ausprobieren, ohne die nationalen Schutzrechte aufgeben zu müssen.

An der Möglichkeit, Gebrauchsmuster und Patent zu kombinieren, hat sich nichts geändert – es gibt kein Doppelschutzverbot betreffend EP-Patent und DE-Gebrauchsmuster.

Bei Fragen hierzu, sprechen Sie uns jederzeit an.

BGH zur Frage der mittelbaren Patentverletzung und der Abgrenzung Neuherstellung vs. bestimmungsgemäßer Gebrauch (Reparatur)

Die Frage der Entscheidung Scheibenbremse II (BGH, 08.11.22 – X ZR 10/20) war, ob der Vertrieb von Verschleißblechen, die Teil eines Patentanspruchs des Streitpatents (gerichtet auf Scheibenbremsen mit Bremsträger und Verschleißblechen) waren als Neuherstellung zu werten sind oder nicht.

Der BGH urteilt, dass der Austausch der angegriffenen Verschleißbleche nicht als Neuherstellung anzusehen ist. Folglich sind die Rechte der Klägerin in Bezug auf die angegriffenen Handlungen erschöpft (Rn63).

Es heißt dazu (Rn 54), dass die technische Wirkung der angegriffenen Verschleißteile allein darin besteht, dass sie verschleißen und damit einem Verschleiß des fest angeschweißten Bremsträgers entgegenwirken. Diese Wirkung reicht nicht aus, um eine Neuherstellung [der Scheibenbremse gemäß Patentanspruch] zu bejahen. (Rn59) Im Streitfall ist eine Neuherstellung danach zu verneinen. Die technische Wirkung der angegriffenen Verschleißbleche besteht allein darin, dass sie verschleißen.

BGH zur Frage des Bedeutungsgehalts von Merkmalen – „Verbundelement“

Fazit einer jungen Entscheidung des BGH (26.04.22 – X ZR 44/20 – Verbundelement) ist:

Auch bei unzureichender Erläuterung eines Begriffs kann sich beispielsweise eine praktisch relevante Grenze auch aus der Zielsetzung ergeben.

Dabei ging es um eine noch „reaktionsfähige“ Schicht. Dies war weder im Anspruch noch in der Beschreibung genau erläutert. Der Zeitraum, in dem die Schicht als noch reaktionsfähig anzusehen sehen ist, ist möglicherweise sehr lang und unbestimmt – der Anspruch damit so breit, dass Stand der Technik entgegensteht. Die relevante Obergrenze ergab sich lt. BGH nun aber aus der Zielsetzung, dass das Aufbringen der „reaktionsfähigen“ Schicht auf andere Schichten die Haftung (zwischen den Schichten im Verbundelement) in relevantem Umfang verbessern muss. Dies war zwar ebenfalls nicht erläutert. Eine Verbesserung der Haftung in einem Umfang, der für den vorgesehenen Einsatz ohne jede Bedeutung ist, reicht aber nicht aus (Rdn44).

Der BGH behält somit seine Linie, allen Merkmalen eine Bedeutung zukommen zu lassen, bei.

„On sale bar“ im US-Patentrecht

Anders als im Europäischen Patentraum kann im US-Patentrecht bereits ein Verkauf unter Geheimhaltung patentschädigend sein und der sogenannten „on sale bar“ unterliegen.

„The FCAC concluded that “if the existence of the sale is public, the details of the invention need not be publicly disclosed in the terms of sale” for the on sale bar to apply. This ruling may not make the on sale bar absolute – if the existence of a sale is itself secret, it appears to fall outside the reasoning of the FCAC – but it does make it clear that a number of situations of practical interest may be caught by the on sale bar.“

(Quelle: https://ipcopy.blog/2019/02/05/nobody-knows-just-we-two-patents-sales-and-confidentiality/)