EuGH-Update zu „Bundespatentgericht sieht das Design / die Gestaltung einer Unterseite eines Fahrradsattels als nicht designfähig an“

Update (jüngstes):

Zuvor ein plastisches Beispiel des Generalanwalts:

  • „Wenn ein an der Unterseite einer Schuhsohle verwendetes Muster (…) schutzfähig ist, sehe ich nicht, warum ein Muster, das wir im vorliegenden Fall an der Unterseite eines Fahrradsattels verwendet wird, dies nicht sein könnte. Der einzige Grund, der diesen Unterschied rechtfertigen könnte, besteht darin, dass der Sattel vom Fahrrad abmontiert werden kann, während sich die Sohle nicht (so leicht) vom Schuh abtrennen lässt.“

Quelle: Mitteilungen der deutschen Patentanwälte, 3, März 2023, Seite 119

Der EuGH beantwortet mit Urteil vom 16.02.23 die beiden u.a. Vorlagefragen des BGH wie folgt: (C-472/21):

  • Für die Schutzvoraussetzung der „Sichtbarkeit“ (eines Bauelements eines komplexen Erzeugnisses) ist auf eine Situation der normalen Verwendung des komplexen Erzeugnisses [Fahrrad] abzustellen.
  • Hierbei ist maßgeblich:
  • Die bestimmungsgemäße Verwendung durch den Endbenutzer, sowie
  • die Sicht eines außenstehenden Beobachters.
  • Es findet auch eine Verwendung Berücksichtigung, die der Endbenutzer neben der Hauptsächlichen vernünftigerweise vornehmen könnte und aus dessen Sicht üblich ist – mit Ausnahme von Instandhaltung, Wartung und Reparatur.

Es dürfte wohl bei der Entscheidung durch den BGH darauf ankommen, ob die Abnahme von Sattel mit Sattelrohr als Art der Diebstahlsicherung durch den Fahrradfahrer vernünftigerweise vorgenommen wird und aus dessen Sicht üblich ist und ob außenstehende Beobachter dabei regelmäßig Sicht auf die Sattelunterseite erlangen. Dabei wird zuvor eine Wertung nötig sein, ob diese Handlung den Ausnahmetatbestand der Instandhaltung oder Wartung oder Reparatur darstellt, was wohl abwegig erscheint. Man darf vermuten, dass der BGH das Sichtbarkeitserfordernis (anders als ursprünglich das BPatG) als gegeben ansieht.

Weiter Einzelnes zum Urteil des EuGH: Art. 3(3) Design-RL verlange nicht, dass ein in ein komplexes Erzeugnis eingefügtes Bauelement zu jedem Zeitpunkt der Verwendung (Des komplexen Erzeugnisses) vollständig sichtbar bleibt (Tz. 45). Art 3(4) Design-RL stelle klar, dass unter „bestimmungsgemäße Verwendung“ ausdrücklich Verwendungen durch den Endbenutzer ausgenommen seien, die unter Instandhaltung, Wartung oder Reparatur des komplexen Erzeugnisses fallen (Tz. 47). Laut EuGH wollte der Unionsgesetzgeber auf die übliche Verwendung durch den Endbenutzer abstellen, um eine Verwendung [bei der Beurteilung der Sichtbarkeit] auf anderen Handelsstufen auszuschließen, um einer Umgehung des Sichtbarkeitserfordernisses vorzubeugen. Der EuGH spricht sich für eine weite Auslegung des Begriffes „bestimmungsgemäße Verwendung“ aus (Tz. 53). Die Verwendung gemäß Hauptfunktion erfordere in der Praxis oftmals verschiedene Handlungen bevor oder nachdem das Erzeugnis diese Hauptfunktion erfüllt hat (wie Aufbewahrung oder Transport) (Tz. 55).

Update:

Der BGH (I ZB 31/20) legt nun der unten aufgeführten BPatG-Entscheidung nachfolgend dem EuGH zwei Fragen zur Richtlinien-Auslegung vor:

  • a) „ob ein Bauelement, das ein Muster verkörpert, bereits dann „sichtbar“ (im Sinne von Art 3(3) der Richtlinie 98/71/EG über den rechtlichen Schutz von Mustern und Modellen) ist, wenn es objektiv möglich ist, das Design in eingebautem zustand des Bauelements erkennen zu können,
  • oder ob es auf die Sichtbarkeit unter bestimmten Nutzungsbedingungen oder aus einer bestimmten Betrachter-Perspektive ankommt“

Darauf aufbauend fragt er für den letztgenannten Fall nach:

  • b) „ob es für die Beurteilung dieser bestimmungsgemäßen Verwendung eines komplexen Erzeugnisses (hier: des Fahrrads) auf den vom Hersteller des Bauelements (Sattel) oder des komplexen Erzeugnisses (Fahrrad) intendierten Verwendungszweck
  • oder die übliche Verwendung des komplexen Erzeugnisses durch den Endbenutzer ankommt
  • und nach welchen Kriterien zu beurteilen ist, ob die Verwendung (eines komplexen Erzeugnisses) durch den Endbenutzer „bestimmungsgemäß“ ist.“

Quelle: Mitt. Heft 2/2022 „Aktuelle Entwicklungen im Designrecht, Thorsten Beyerlein“

Ursprünglicher Eintrag:

Das Bundespatentgericht (BPatG) hat in seinem Beschluss BPatG 30 W (pat) 809/18 vom 27.02.2020 zur Frage der Sichtbarkeit eines Designs in Form der Unterseite eines Fahrradsattels und dessen bestimmungsgemäßer Verwendung geurteilt und das nachfolgend wiedergegebene Design gelöscht.

Dabei ging es um sogenannte Bauelemente komplexer Erzeugnisse, genauer: die Unterseite eines Sattels, der als Bauelement eines komplexen Erzeugnisses (nämlich des Fahrrads) zu verstehen war.

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Designschutz an einem Teil eines Gesamterzeugnisses

(bei einem nicht-eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmuster)

Der EuGH stellt in seinem Urteil vom 28.10.2021 (C-123/20, Ferrari SpA gegen Mansory Design & Holding GmbH) Folgendes heraus:

Auch bei Beanspruchung von Designschutz an nur einem Teil eines Gesamterzeugnisses bedarf es einer klaren Erkennbarkeit der Erscheinungsform des Teils, für den Designschutz beansprucht wird.

Es gibt allerdings keine Pflicht, jedes einzelne Teil eines Erzeugnisses, das durch ein nicht-eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster geschützt werden soll, gesondert zu offenbaren.

Das beanspruchte Geschmacksmuster muss „präzise und sicher“ zu erkennen sein. Es ist zwingend notwendig, dass die Erscheinungsform eines solchen Teils eines Erzeugnisses selbst geeignet sein muss, einen „Gesamteindruck“ hervorzurufen, der nicht vollständig in dem Gesamteindruck des Gesamterzeugnisses untergehen darf.

(Quelle: Mitteilungen der deutschen Patentanwälte, Heft 2/2022)

Kein Rechtsbestandsverfahren mehr als Voraussetzung für Urteile im einstweiligen Verfügungsverfahren

Kein Rechtsbestandsverfahren mehr als Voraussetzung für Urteile im einstweiligen Verfügungsverfahren

Der EuGH hat mit einer spektakulären Entscheidung (C‑44/21) die bisherige Vorgehensweise deutscher Gerichte beendet, nach der einstweilige Verfügungen aus Patenten nur mit einem vorherigen streitigen Verfahren möglich waren. Ein abgeschlossenes Rechtsbestandsverfahren ist nun keine Voraussetzung mehr für ein Urteil im einstweiligen Verfügungsverfahren. Und das geht sogar einer im EPGÜ anders geregelten Regelung vor. Das ist sehr erfreulich – wo denn sonst die Bedeutung des Eilrechtsschutzes geblieben wäre…

Für Kritiker sei angemerkt, dass der EuGH in seiner Entscheidung darauf hinweist, dass die Durchsetzungsrichtlinie zahlreiche Maßnahmen vorsieht, die einem Missbrauch eines Antrags auf einstweilige Verfügung entgegenwirken, nämlich
– die Möglichkeit, den Patentinhaber in die Hauptsache zu zwingen,
– die Auferlegung von Sicherheitsleistungen, sowie
– den Erlass von Schadenersatz, sollte die einstweilige Verfügung im Nachhinein aufgehoben werden.